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25 Jahre später… NSU-Brandanschlag von Solingen

Als ich von der Reise nach Solingen hörte, bei der wir auf die Familie Genç treffen würden, hatte ich bereits gemischte Gefühle. Ich dachte daran, dass diese Menschen bei einem so abscheulichen Verbrechen mehrere Familienangehörige verloren hatten. Obwohl ich bereits die Aussagen von Frau Mevlüde Genç in den Nachrichten mitbekommen hatte, erwartete ich eine von der deutschen Bevölkerung enttäuschte Familie mit Migrationshintergrund.

Dennoch brach ich mit einer Gruppe von engagierten Jugendlichen aus Österreich an einem Donnerstag auf nach Solingen. Erster Halt auf unserer Reise war Frankfurt am Main, wo wir auf einen alten Bekannten trafen. Für einen Jungen, der im tiefsten Oberbayern geboren wurde und aufgewachsen ist, ist die Großstadt immer wieder ein positives Schockerlebnis. Doch dank unseres Bekannten, der uns auch in der Stadt herumführte, konnte ich gut erkennen, dass zwischen den Wolkenkratzern einiges nicht stimmt. Die verschiedenen Viertel, in denen die Integration fehlgeschlagen und die Kriminalität extrem hoch ist, ist der Beweis dafür, dass so manches nicht richtig läuft.

Anschließend fuhren wir weiter nach Solingen und kamen schließlich in unserem Hotel an, wo wir von Herrn Zingal willkommen geheißen wurden. Der Freitag war durchgeplant mit verschiedenen Stationen.

Die erste Station war eine Gruppe von Vereinsmännern, die bereits in den Jahren der ersten Generation türkischer Migranten verschiedenste Vereine gegründet hatte. Es war interessant von ihnen zu hören, mit welchen Schwierigkeiten sie zu dieser Zeit zu kämpfen hatten. Ich konnte meine Verwunderung nicht verbergen, als ich erfuhr, dass diese Leute bereits in den 1970er Jahren einen Verein mit Satzung und Vereinsregistereintrag zustande gebracht hatten. Dazu muss man natürlich wissen, dass zu dieser Zeit viele Einwanderer so starke Probleme mit der deutschen Sprache gehabt hatten, dass sie sogar den Einkauf für das eigene Zuhause nur mit Ach und Krach bewältigt hatten.

Unsere zweite Station war der Ort des grausamen Geschehens. An jenem Ort stand vor mehr als 25 Jahren das Haus der Familie Genç. Die Gemeinde hat das Grundstück bewusst nicht mehr bebaut. Hier stehen nun für die fünf verstorbenen Personen fünf Bäume und eine Gedenktafel mit ihren Namen. Als uns Herr Zingal erzählte, was hier passiert war, lief es mir eiskalt den Rücken runter.

Welche Personen waren dazu nur fähig gewesen,ein Haus, in dem Familien mit Kleinkindern wohnten, aus Bosheit anzuzünden und mutwillig Menschen zu töten? Hier erfuhren wir auch, dass die Täter mit einer anderen Identität bereits wieder auf freiem Fuß waren. Dieses Verbrechen hatte eine riesige Kluft zwischen den Einwanderern und der deutschen Bevölkerung zufolge gehabt, was man in den darauffolgenden Wochen und Monaten am stärksten bemerkt hatte. Die Situation war eskaliert und es war randaliert worden. Menschen aus ganz Europa waren nach Solingen geströmt und hatten Rache gefordert. Mit einem mulmigen Gefühl verließen wir diesen Ort.

Als wir bei Familie Genç eintrafen, wurden wir herzlich aufgenommen. Eine ganz normale türkische Familie mitten im Herzen Europas. Mama, Papa, Sohn, Schwiegertochter und Enkelin. Nach der Begrüßung fing die Mutter der Familie, Frau Mevlüde Genç, an, zu reden.

Ihre Worte brannten sich in mein Gehirn ein: „Meine beiden Heimatländer haben mich nie im Stich gelassen. Hass bringt nur noch mehr Hass auf die Welt. Das habe ich auch in jener Zeit zu denen gesagt, die Rache wollten. Versucht eine Beispielperson für euer Umfeld zu sein.“ Dies sagt eine Frau, die drei ihrer engsten Familienangehörigen bei einem rechtsradikalen Angriff verloren hatte. Ich konnte es kaum fassen. In einer Zeit, in der wir von den Medien in Kategorien wie „Gutmenschen“ und „Wutbürger“ gespalten werden und jeder, dem Unrecht geschieht, seinen Gegenüber als Faschisten oder Radikalisten bezeichnet. Diese Frau war für mich der Beweis dafür, dass es Gutes auf der Welt gibt.

Nach circa einer Stunde, die wir mit der Familie verbracht hatten, fuhren wir zum Mahnmal dieses Verbrechens, welches von dem Schulleiter der verstorbenen Kinder an der Schule errichtet worden war. Wir bemerkten,dass unmittelbar neben diesem Mahnmal gegen Radikalismus und als Erinnerung daran, dass so etwas nie wieder passieren darf, zwei riesige Mülltonnen standen. Anscheinend störte es niemanden, obwohl direkt daneben eine leere Fläche war. Herr Zingal registrierte dies und kümmerte sich auch in kürzester Zeit darum.

Meine Bedenken, die ich vor der Reise gehabt hatte, waren vollkommen falsch gewesen. Ich würde jedem, den das Thema interessiert, empfehlen nach Solingen zu fahren und sich ein eigenes Bild zu machen.

Was mich enttäuschte, war die Tatsache, dass sich viele von uns Europäern mit türkischem Migrationshintergrund viel zu sehr mit der türkischen Politik auseinandersetzen, aber Ereignisse und Themen, die uns direkt betreffen, gerne mal vergessen oder ignorieren.

Ich werde versuchen, beim nächsten Jahresgedenktag auf jeden Fall wieder in Solingen zu sein und meine Solidarität mit der Familie Genç zu zeigen.

Savaş Ekinci

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