Loading

Die Genesis der Vorurteile

Vor der Moderne waren die höchsten Risiken der Menschen – kurz zusammengefasst – einem „bösen Zauber“ zu verfallen oder sich von religiösen Quellen zu entfernen.

Mit der Zeit haben sich unsere Probleme, Ängste und selbstverständlich auch unsere Risiken geändert. Natürlich bestehen auch in unserer heutigen Gesellschaft zahlreiche Risiken und weder die gesellschaftlich hochgezüchteten Nationen noch die globalisierte Welt ist davon ausgenommen. Gewiss sind lokale und temporale Unterschiede zu erkennen, jedoch stellt insgesamt das Summarium der individuellen Ängste die gesellschaftlich relevanten Risiken dar. Die generelle Erwartung der Individuen an die Gesellschaft ist ein „sicheres“ und „harmonisches“ Zusammenleben.

Unsere Kommunikationskanäle sind allerdings mit einem starken Rauschen belegt. Ein unerklärliches chronisches „Rauschen“, das uns immer mehr in seinen Bann zieht. Dieses störende Geräusch wurde insbesondere nach dem ersten Weltkrieg von unseren Vorurteilen dominiert. Die Grundlage für die Entstehung von Vorurteilen stellt zunächst die soziale Kategorisierung sämtlicher Geschehnisse dar. In erster Linie greift man zur Ethnie: Türken, Kurden, Araber, Deutsche, Bulgaren, Europäer, Syrer und so weiter.

Es folgen Religion und Glaubensunterschiede: Muslime, Juden, Christen, Aleviten, Atheisten. Die Möglichkeiten und Varianten Menschen in Schubladen zu stecken, sind fast unendlich. Wie Wissenschaftler katalogisieren wir sämtliche irrelevanten Informationen, um sie ja unter Kontrolle halten zu können – vergleichbar wie in einer Enzyklopädie. In allen Bereichen des Lebens finden wir Einträge aus diesem Sammelsurium und gestalten unseren Alltag nach dieser Diktion. In der Sprache der Tageszeitungen finden wir durchgehend die soziale Klassenrhetorik. In der politischen Kommunikation, in der Wahlkampf-Rhetorik oder in Zeitungskolumnen sind wir ständig mit der sozialen Kategorisierung der Geschehnisse und deren Protagonisten konfrontiert. Unbewusst wird dieser suggestive Sprachgebrauch zum Teil unseres Alltags und wir selbst säen die Saat unserer Ressentiments.

Haben wir die erste Stufe erfolgreich absolviert, zeichnen sich bereits Steigerungen in unserer Aggression gegenüber unseren suggerierten Feinden ab. Denn in den selbstgeschaffenen Kategorien haben wir unsere eigenen Feinde schon längst erschaffen. Nun können wir diese imaginären Feinde in unserer alltäglichen Sprache bewusst bzw. unbewusst in den vorgesehenen Kategorien verarbeiten. Es reicht lediglich ein Wort, um diese Feindseeligkeiten in unserem Sprachgebrauch zu implementieren. Hat man die unterbewusste Anfeindung oft genug über einen ausreichend langen Zeitraum praktiziert, steht dem Übergang zu einem verbalen oder physischen Angriff nichts mehr im Wege.

Jede Art des Angriffs wird allmählich legitimiert und es ist nur eine Frage der Zeit und Gelegenheit, um verbale oder tätliche Angriffe in der Realität umzusetzen. Dieses Verhalten bietet sich selbstverständlich auch der Verbreitung und in Folge ebenso der Enttabuisierung dieser Geisteshaltung an. Eine gesellschaftlich autoritäre Identität geht unweigerlich mit dieser Art der Transfiguration (Metamorphose) einher.

Es gibt nun keinen Grund um dieses Gedankengut nicht öffentlich in Vereinen, Gemeinschaften oder in politischen Gesellschaften zu verkünden. Nichts steht dem Populisten mehr im Weg, um die Ängste und Vorurteile der Bevölkerung für seine Politik zu instrumentalisieren. In vier einfachen Etappen (soziale Kategorisierung, Einbindung in den Sprachgebrauch, Übergang in verbale und tätige Gewalt bzw Salonfähigkeit der Gewalt) wurde die Gesellschaft darauf vorbereitet, weder Hexerei, Wissenschaft noch eine besondere Kompetenz waren dazu nötig.

Unsere Vorurteile sind Reformen gegenüber nicht offen.
Sie können auch nicht als natürliches Verhalten interpretiert werden.
Sie wurden nicht durch vererbtes Gedankengut generiert.
Es wäre zu kurz gedacht und skandalös, Vorurteile als unsere Problemlöser anzusehen.
Abgesehen von alldem, sind es genau diese unnützen statischen Klischees, die unsere Kommunikationskanäle wie ein starkes Rauschen blockieren.

Nun stellt sich die zentrale Frage:
Wie können wir uns von unseren Ressentiments befreien?
Die Antwort liegt in der ersten Stufe.

Yazının Türkçesi: http://aliter.blog/oenyargilarin-olusumundaki-ilk-basamak

Muhammed Gönen

Leave a Reply