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Muslimische Pflegeltern! Verdammt, wo seid ihr?!

Des öfteren wird muslimischen BürgerInnen im Land vorgeworfen sich in eine Opferrolle zu begeben, die Betroffene, vor allem jedoch muslimische AktivistInnen stets vehement zurückweisen, obwohl selbstkritische Wahrnehmungen regelmäßig auftauchen und besprochen werden. Wie dem auch sei. Das eigentliche Thema, zu dem ich einen Gedankenanstoß anregen möchte ist die Lage von muslimischen Kindern aus krisengeschüttelten Familien und die kaum vorhandene Zahl von bereitstehenden muslimischen Pflegeeltern, die ein Kind im Pflegefall aufnehmen und so lange bei sich zuhause versorgen bis das Jugendamt wieder grünes Licht gibt, dass das Kind zu seiner Familie zurückkehren kann.

Anders ist es, wenn man ein Kind adoptieren will. In so einem Fall wird das Kind auf Dauer von neuen Eltern adoptiert, aber auch hier ist die Zahl der muslimischen Eltern, die sich dazu bereit erklären sehr rar. Komisch sind dann aber die lautstarken Reaktionen aus der muslimischen Community, wenn muslimische Kinder in EU Ländern aus den Händen ihrer Familien entrissen und in Einrichtungen bzw. Pflegefamilien untergebracht werden, die keine Ahnung über Gewohnheiten aus muslimischen Haushalten haben, aber sich bereit erklären diesen zum Teil auch traumatisierten Kindern vorübergehend wieder ein normales Leben zu geben bis sie wieder zu ihren Familien wieder zurück können.

Wo waren dann bitte all jene Muslime, als diese Kinder diese Unterstützung am nötigsten hatten?

Es ist natürlich nicht selten der Fall gewesen, dass antimuslimischer Rassismus in solchen Fällen ein Faktor war und die Kinder bewusst aus der Familie entrissen wurden, aber weshalb ist es leichter sofort laut „Rassismus und Islamophobie“ zu schreien bzw. sich zu empören anstatt sich zu einer bestimmten Zeit sich im zuständigen Amt einzutragen, um für solche Fälle sofort bereit zu sein, um das Kind weich aufzufangen, damit es in so einem Schicksalsschlag nicht hart aufschlägt.

Oder um es direkter anzusprechen: Wo bleibt der prompte standhaftiger Einsatz von MuslimInnen gegen antimuslimischen Rassismus in so einem Fall? Reaktionen bzw Protestschreiben oder Demonstrationen werden dem traumatisierten Kind nicht wieder zu einem normalen Leben verhelfen. Eine Zeitung, dessen Chefredakteur ein Muslim ist schrieb einst : „4000 Kinder werden in Deutschland ihren Familien entrissen und in Pflegefamilien christianisiert“.

Wo waren dann bitte die muslimischen Pflegeeltern oder die Gemeinden, die eine noch größere Traumatisierung dieser Kinder verhindert hätten, anstatt Schlagzeilen zu schreiben oder Parolen zu brüllen? Wieso waren sie nicht auf der Stelle da?

In keiner Moschee Predigt habe ich jemals einen Hoca oder Sheikh über so ein Thema reden gehört, obwohl es dieses Problem gibt. Stattdessen wird immer nur über Standardthemen aus der Vergangenheit das Leben und Verhalten der Propheten, Gelehrten und Muslime, Konflikte, Heirat und Sünden gesprochen gesprochen. Diese sind wichtig, die Predigten gleichen jedoch jedes mal einem aufgenommenen Tape, das per Wiederholungsklick der Gemeinde nochmal aufgesetzt wird. Diese gleichen oft einer Märchenstunde, da man gerne darüber predigt und den Islam so präsentiert, aber selbst nicht danach handelt. In manchen Kreisen wird sogar heftig über Bärte, Kopftuch und Kleidungsform gestritten während es leidende Kinder gibt, denen zu helfen ist, aber nirgendwo, auch als ich ein mal einen Sheikh darum gebeten habe dieses Thema anzusprechen ist man dem Thema mit Institutionalisierung ausgewichen.

Die Institutionalisierung ist da, diese Institutionen in Wien sagen auch, dass sie unbedingt muslimische Pflegeeltern brauchen, aber keiner sich dazu bereit erklärt. Der Staat versorgt sogar Pflegeeltern finanziell sehr gut, damit sie sich um das Kind kümmern können, aber das Problem liegt nicht an den Finanzen sondern an etwas ganz anderem. Vor allem Jene, die beschränkt denken kommen mit Gründen wie “ Ich kann das nicht machen, weil meine Frau sonst immer auf Kopftuch und Co achten muss“, oder „Das geht nicht.

Ich habe zuhause einen Sohn oder eine Tochter.“Bei so etwas denke ich mir“ Das ist ein Kind und keine Sexmaschine. Das Kind ist durch die Familienkrise sowieso eingeschüchtert und würde sich im Pflegeelternhaus ruhig und zurückgezogen verhalten und keine lüsternen Blicke werfen, ja nicht einmal zum Essen würde es erscheinen, sondern sagen, dass es keinen Hunger hat. Heimweh durchbohrt dieses Kind.

Sätze wie „Ich will nach Hause. Ich will meine Eltern. Wo ist meine Mama“ gehen durch den Kopf des Kindes und nicht die Intimsphäre in einem fremden Haushalt. Und dass es genau dieser Grund ist hat sich zuletzt in der Flüchtlingskrise 2015 bestätigt, als ich jemanden angerufen habe, ob er zwei junge Herren bei sich für nur eine Nacht aufnehmen könnte, da seine Tochter in einem Social Media Post meinte, dass ihr Vater alle gerne aufnehme und jeder ihn Vater nennen könne. Beim Anruf schrie er mich an, dass es nicht ginge, weil er eben Frauen und Kinder habe- was ja kein Problem ist dachte ich mir, dann fragte ich mich dennoch, weshalb er verdammt nochmal seine Hilfe anbot.

Hernach habe ich meine Mutter gefragt, ob sie bei mir im Zimmer schlafen könnten für eine Nacht, sie erlaubte es mir und bereitete auch das Abendessen für uns alle vor. Sie waren meiner Mutter für die Gastfreundschaft sehr dankbar. Meine Mutter selbst ist berufstätig und alleinerziehend. Dank meiner Mutter, die sowohl Vater als auch Mutter war, sind meine Schwestern und ich während der furchtbaren Scheidungskrise nicht in die Klauen des Jugendamts geraten, die auch bei uns waren, denn sonst wären auch wir auf Pflegeeltern angewiesen gewesen, vor allem muslimischen, aber die gab es nirgendwo. Muslime hier sind so sehr mit den aktuellen Kriegen auf der Welt, der Zerstrittenheit unter MuslimInnenn, den theologischen Streitpunkten aus so langer Vergangenheit und mit anderen sinnlosen Gesprächen beschäftigt, dass sie die psychische und physische Unversehrtheit von Menschen, besonders die von Kindern vergessen haben.

So oft predigen sie von humanen Hilfeleistungen Menschen und Tieren gegenüber aus der Vergangenheit, erzählen Hadithe wie als ob sie Märchen wären, enthalten sich aber jener humanistischer Hilfe, wenn sie mal so dringend benötigt wird mit der Begründung, dass das ihnen zu nahe trete. Es ist klar, dass nicht jeder dafür geschaffen ist fremde Kinder als Pflegekinder aufzunehmen, aber zu predigen und es selbst nicht machen gleicht einer Scheinheiligkeit. Das Image von vertrauensunwürdigen MuslimInnen sollte durch solche Scheinheiligkeiten nicht das Image des Islam beschädigen, denn sogar Adoption/Pflege wird im Koran erwähnt. Wie gesagt, in Wien werden muslimische Pflegeeltern dringend gesucht. 2013 gab es nur ein Ehepaar.

Ein Freund von mir, der leider aus einer krisengeschüttelten Familie kam wurde oft geschlagen und aus dem Haus geworfen und wurde durch die Übernachtungen auf der Straße schnell zum Straßenkind. Ich bot ihm meine Hilfe an, damit er den Sprung im Leben doch noch schafft. Nachdem er sich lange Zeit bei mir nicht gemeldet geschweige denn auf meine Nachrichten geantwortet hatte, erfuhr ich, dass er sich dem Krieg im Nahost angeschlossen und ums Leben gekommen war.

Ich habe eine Woche lang um ihn geweint und Schuldgefühle gehabt. Scheidung und Krisenfamilien sind kein Geheimnis, es gibt sie, werden jedoch in unserer Gesellschaft tabuisiert und die Familienmitglieder mit durchkreuzten Blicken betrachtet. Beim nächste mal, wenn muslimische Kinder aus ihren Familien entrissen und bei Pflege- oder Adoptiveltern von ihrer Kultur und Glaubensreligion entfremdet aufwachsen, sollten vor allem Muslime von der lautstarken Empörung ablassen und die Schuld vielleicht im Spiegel suchen, weshalb ein muslimisches Kind sich wie ein „Kafir“ verhält.

Zum Schluss aber vielleicht auch eine schöne Story, um die vermieste Laune zu verbessern oder doch zu einer Bereitschaft zur Einschreibung als Pflegeeltern zu motivieren. Ein in London ansässiger Freund von mir ist mal zur Bank gegangen, um etwas zu erledigen. Die Sachbearbeiterin, eine dunkelhäutige Britin afrikanischer Abstammung, bemerkte während der Betreuung seinen türkischen Namen und fragte ihn auf türkisch:

„Bist du Türke?“ Er nickte.
„Ich bin auch Türkin“, sagte sie im perfekten Türkisch und er schaute sie nur verwundert an.
„Mein Vater ist Türke und meine Mutter ist eine aserbaidschanische Türkin. Sie haben mich adoptiert und großgezogen. Deswegen fühle ich mich auch als Türkin.“ Bei dieser Geschichte habe ich Gänsehaut gekriegt.

Filiz Demir

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