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Eine Analyse über die Schock-Studie Aslans
El Rami

Zur neuen Studie von Ednan Aslan, die ich mir heute angeschaut habe:

Das Institut für islamische Studien hat eine neue „Schockstudie“ (Bezeichnung des Boulevards) veröffentlicht. Studienautor ist Ednan Aslan, dessen – nennen wir es Zugang zur Wissenschaft – erst kürzlich heftig kritisiert wurde.

Die Haupterkenntnis aus der Studie ist, dass radikalisierte Menschen sehr wohl religiöses Wissen besitzen, ehe sie in die Fanatsierung schlittern. Das ist eine Schlussfolgerung, die in direktem Widerspruch, zu ALLEN repräsentativen Studien steht, die ich kenne – und das sind doch einige. Ich erwähnte heute Vormittag etwa die MI5 Studie in London 2008 sowie die vom CTC 2016 herausgegebene Studie, die beide resümieren, dass der Großteil radikalisierter Menschen, wenig bis kaum religiöses Wissen besitzen. Erstere zog mitunter auch das Fazit, dass früh-religiöse Erziehung gar gegen Radikalisierung helfe. Renommierte Wissenschaftler aus Deutschland, etwa Michael Kiefer oder Peter Neumann, bestätigen dies. Auch österreichische Professoren, wie Rüdiger Lohlker haben dies schon mal geäußert. Sogar Mouhanad Khourchide, ein enger Vertrauter von Ednan Aslan, der diesen beim Kindergartenstudien-Eklat in Schutz genommen hat, meinte 2014 bei einem Interview, dass Radikalisierung nichts mit Religion zu tun hätte. In einem Interview aus dem Jahr 2016 bestätigte er dies, bezeichnete zudem die Terroristen als „religiöse Analphabeten“ und unterstrich, dass die Religion Teil der Lösung des Radikalisierungsproblems sei.

So weit so gut. Lassen wir all dies mal außer Acht und betrachten die neue Studie für sich. Das habe ich heute gemacht. Selbstverständlich habe ich mir nicht die 300 Seiten durchgelesen. Was ich genau studiert habe waren: Fragestellung, Methodik, Sample und Zusammenfassung.

Vorweg: Ich habe den Verdacht, dass Aslan – wie auch bei der Kindergartenstudie – gewisse Vorannahmen hatte, mit denen er auch in diesen Auftrag gegangen ist. Die Studie sollte dazu dienen, seine Vorannahmen zu bestätigen. Aus diesem Grund habe ich auch den Schwerpunkt auf Fragestellung und Methode/Sample inkl. Zusammenfassung gelegt, da sich hier doch einiges herauslesen lässt.

Ich drehe das Ganze etwas um, damit ich illustrieren kann, wie unnachvollziehbar die Endergebnisse – basierend auf der Wahl der Befragten – tatsächlich sind.
Aslans Studie resümiert mit unter folgendes:

› Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen, dass sich die interviewten Personen in ihrem Radikalisierungsprozess aktiv mit Inhalten, Normen und Wertvorstellungen der islamischen Lehre auseinandersetzten.

› Diese intensive Auseinandersetzung mit theologischen Temen stellt bei vielen Befragten einen Wendepunkt in ihrem Leben dar, der mehrheitlich positiv bewertet wird.

› Der Großteil der Befragten stammte aus einem gläubigen muslimischen Elternhaus und hatte bereits vor dem Kontakt mit der islamischen Teologie Kenntnisse über die Grundlagen des Islams. Die im gesellschaflichen Diskurs herrschende Annahme, dass radikalisierte Personen mehrheitlich über eine geringe Kenntnis der Religion verfügen, hat sich in der Studie nicht bestätigt.

Letzterer Punkt ist wohl auch die Hauptthese, wurde jene in den meisten Medienberichten verwendet.

Aslan schreibt, „die im gesellschaftlichen Diskurs herrschende Annahme…“ Damit ignoriert er die aktuelle Studienlage zu diesem Thema, die wie oben illustriert, relativ eindeutig ist. Die Annahme, dass radikalisierte Menschen über wenig religiöses Wissen verfügen, ist eine wissenschaftliche Feststellung – die durch repräsentative Studien mehrfach belegt wurde – und nicht ein Teil eines beiläufigen gesellschaftlichen Diskurses.

Wichtiger ist aber, dass Aslan damit sagt, alles was wir über radikalisierte Menschen und die Rolle der Religion in diesem Prozess wissen, ist falsch. Gut, das ist eine Annahme, die es natürlich zu überprüfen gilt. Wie macht das der Studienautor?

Da kommt dann auch schon der interessante Part.
Um etwa solche Aussagen treffen zu können, wurden in der Studie 29 narrativ-biografische Interviews geführt – 26 in österreichischen Gefängnissen und drei in Wiener Jugendeinrichtungen. 15 der Gefangenen saßen wegen terroristischer Straftaten (§ 278b-f StGB bzw. § 282a StGB) in Haft. Hinzu kommt, dass 2/3 der Befragten tschetschenischen Migrationshintergrund haben.

Der aufmerksame Lesende wird hier schon erahnen, worauf ich hinaus möchte. Ich will dies aber dennoch ausführen. Ausschlaggebend ist für mich hier die Repräsentativität und somit auch die Verallgemeinerbarkeit der Studie.

1) Wie repräsentativ ist eine Studie, die eine Aussage über „einen gesellschaftlichen Diskurs“ und allgemein Radikalisierungsprozesse treffen möchte und dabei einen Stichprobenumfang von 29 Personen aufweist? Meiner Meinung nach sehr wenig, aber lassen wir das Argument gelten, es könnte sich doch um eine Tendenz handeln. Wohlgemerkt, in der Schlussfolgerung ist nicht die Rede von einer Tendenz. Fakt ist, eine derart kleine Stichprobe wäre erst dann zulässig, wenn der Output ein theoriegenerierender wäre. Das ist hier nicht der Fall.

2) Es fällt sogar einem komplett unerfahrenem Leser/Leserin auf, dass die Befragten Teil eines sehr, sehr spezifischen Milieus sind. Die Interviews wurden mit Gefängnisinsaßen geführt, die Hälfte davon waren nach Terrorismus-Paragraph verurteilt. Das sind Menschen, die sich nach gängigen Modellen der Einstufung von Radikalisierung, auf der letzten Stufe befinden. Vergleiche hierzu das Treppenmodell von Fathali Moghadam 2005, oder das Pyramidenmodell von Clark McCauley und Sophia Moskalenko 2000. Also eine tiefere Radikalisierung geht nicht mehr. Manche dieser Menschen waren mit unter bereit zu morden, bzw. sich einer terroristischen Organisation anzuschließen. Man möge mir den Vergleich verzeihen, aber das ist in etwa so, wie wenn ich eine Studie über Suchtverhalten mit Menschen mache, die schwer abhängig sind von harten Drogen, etwa Heroin, und dann aber den Anspruch erhebe, Aussagen über Hanfkonsumenten treffen zu können, bzw. über alle, die mit Drogen zu tun haben.

3) Schon allein die in Punkt 2 erwähnten Spezifika der Zielgruppe sollten Grund genug sein, derartige Schlussfolgerungen nicht ziehen zu können. Aber es kommt noch etwas hinzu. Wie bereits erwähnt, sind 2/3 der Gruppe tschetschenischer Abstammung. JedeR der in dem Feld tätig ist weiß, dass Menschen mit diesem Migrationshintergrund – vor allem auf Grund der traumatischen Erlebnisse in der Kindheit und der erlebten Ausgrenzung – anfällig sind für Radikalisierung. Die meisten meiner tschetschenischen Freunde haben in ihrer Kindheit nur Krieg und Unterdrückung erlebt. Viele sehen in dem Kampf in Syrien eine Möglichkeit, es „den Russen heimzuzahlen“ für das, was sie ihren Familien angetan haben. Es ist kein Wunder, dass der Großteil der aus Österreich nach Syrien ausgereisten fighter tschetschenischer Abstammung sind. Das sind Menschen, mit einer ganz spezifischen Geschichte.

4) Hier muss ich eigentlich nichts mehr dazu sagen, denn es steht bereits in einer der Schlussfolgerungen und bestätigt eigentlich nur, wie spezifisch die Zielgruppe ist.

„Die befragten Personen stammen aus einer sozial schwächeren Schicht, was als zusätzlicher Faktor in den Diskriminierungserfahrungen und Radikalisierungsprozessen eine Rolle spielt.“

In Summe reden wir also über eine Gruppe, die sich in einer ganz besonderen Lebenslage befindet. Menschen, die auf Grund vergangener Entscheidungen und ihrer radikalen Gesinnung so weit gegangen sind, dass sie verurteilt wurden. Menschen, die auf Grund traumatischer Erlebnisse besonders anfällig für diese Ideologie waren. Menschen, die aus einer niederen sozialen Schicht kommen und menschen, die Diskriminierungserfahrungen gemacht haben.

Ausgehend von den Interviews mit diesen Menschen schlussfolgert Aslan, entgegen allen bisherigen Studien, es sei nicht richtig, dass radikalisierte Menschen über geringe Kenntnis der Religion verfügen. Betrachtet man die anderen Schlussfolgerungen, die in der Studie präsentiert werden – etwa dass die Befragten aus gläubigem Elternhaus kommen (Wie misst man Gläubigkeit?) oder dass sie ihr Wissen aus klassisch islamischen Texten beziehen – so wird klar, dass der Studienautor darauf abzielt, dem Islam eine gewichtige Rolle bei der Radikalisierung beizumessen. Schließlich geht dies auch aus der Forschungsfrage hervor.

Es bleibt festzuhalten, dass basierend auf diesen Ausführungen und der gängigen wissenschaftlichen Praxis, es eigentlich unmöglich wäre, auf die unterstrichene Schlussfolgerung zu kommen.

Vielmehr noch ist keineswegs nachvollziehbar, wie – basierend auf einer derart beschränkten, nicht repräsentativen und spezifischen Stichprobe (befragte Menschen) – eine Forschungsfrage wie diese formuliert werden kann:

„Wie stellen sich Radikalisierungsprozesse bei Individuen dar und welche Rolle spielt die Religion in diesen Prozessen?“

El Rami

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