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Ein Ja zur Doppelstaatsbürgerschaft

Herkunft, Kultur und Familie prägen Menschen und sind oft Lebensbegleiter. Auch wenn in Konfrontation mit durch Migration entstandenen neuen Lebensumständen Reflexionsprozesse einsetzen und sich manche Haltungen verschieben – die Herkunftskultur kann nicht einfach wie an einer Garderobe abgegeben werden.

Nicht als „vollwertige Österreicher“ wahrgenommen zu werden ist eine Erfahrung, die selbst junge Menschen der zweiten und dritten Generation häufig erleben. Trotz fließender deutscher Sprache und völliger Partizipation in Beruf und Gesellschaft gelten sie als „anders“. Die Frage „Woher kommen Sie?“ klingt in vielen Ohren nach: „Sie sind nicht auf einer gleichen Ebene mit mir“, und je nach Ton noch schlimmer: „Was machen Sie hier eigentlich?“

Alamanci
Im Herkunftsland der Eltern bekommen diese Jugendlichen das Gleiche zu hören, aber eben umgekehrt: „Deutschtürken – Alamanci“ werden unser jugendlichen Austrotürken im Heimatland ihrer Vorfahren beispielsweise genannt.

Nun nehmen wir alle zur Kenntnis, dass diese österreichischen Staatsbürger einen anderen Ursprung haben; noch mehr: Wir erwarten von ihnen, dass sie uns besser erklären, was in den Herkunftsländern der Eltern geschieht; wir wollen, dass sie als Brückenbauer zwischen Kulturen, Religionen und auch Ländern agieren. Aber auf dem Papier wollen wir sie zwingen, ihre ursprüngliche Staatsbürgerschaft abzugeben. Tun sie das nicht, werden sie auf einmal als Gesetzesbrecher dargestellt, denen nur recht geschieht, die österreichische Staatsbürgerschaft zu verlieren. Und warum eigentlich? Wer hat etwas davon? Warum wird hartnäckig eine politische Realitätsverweigerung betrieben?

Die österreichische Politik scheint ein Problem im Umgang mit multiplen Identitäten zu haben. Hier verrät sich auch ein nationalstaatliches Denken. Es darf im Zusammenhang mit der Identität und dem Zugehörigkeitsgefühl nicht ein Entweder-oder geben. Sowohl-als-auch ist die richtigere und bessere Einstellung. An der Loyalität eines neuen Staatsbürgers muss nicht gezweifelt werden, wenn diese Person sich gleichzeitig einem anderen Land weiterhin emotional verbunden fühlt. Was den Militärdienst betrifft, so ist klar geregelt, dass dieser jeweils nur für ein Land geleistet werden kann.

Österreich ist Schlusslicht im europäischen Vergleich, was den Umgang mit einer doppelten Staatsbürgerschaft betrifft. Sogar EU-Bürger müssen ihre ursprüngliche Staatsbürgerschaft zurücklegen, wenn sie die österreichische erhalten haben. Das offizielle Österreich erntet dafür heftiges Kopfschütteln.

Lex Erdogan
Höchst problematisch ist es, wie manche Politiker das Referendum in der Türkei und die im Zuge dessen kursierenden Listen angeblicher Doppelstaatsbürger benutzen, um eine Art Lex Erdogan im österreichischen Recht einbauen zu wollen. Das riecht nach populistischer Anlassgesetzgebung. Vielmehr sollten wir ehrlich und ohne Scheuklappen darüber nachdenken, ob nicht eine Reform überfällig wäre, die der Realität multipler Identitäten gerecht wird.

Populistische Paragrafen
Und noch ein praktischer Ansatz: Anders als vielfach angenommen handelt es sich bei einer Doppelstaatsbürgerschaft weder um Luxus noch um eine Spielerei oder gar einen verfestigten Nationalismus gegenüber dem Herkunftsland. Es geht meist um rein pragmatische Dinge wie das Erwerbsrecht von Eigentum, Erbangelegenheiten etc. Der wirtschaftliche Nutzen für Österreich wäre hier ein nicht zu unterschätzender Faktor. Viele Beispiele von „legalen“ Doppelstaatsbürgern zeigen, dass hier keinerlei Loyalitätsprobleme vorhanden sind. Die Aufgabe der Politik ist es, gesellschaftliche und demografische Veränderungen positiv aufzugreifen und nicht veraltete Paragrafen populistisch zu zementieren.

Tarafa Baghajati
Tarafa Baghajati
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