Sein Abschiebetermin steht schon fest! – Bahar Z.
Bahar Z. geht es schlecht. Verdammt schlecht. Er wollte sich am Samstag, den 08.07.2017, in Schubhaft das Leben nehmen.
Seine Freund*innen hat er noch versucht anzurufen, vermutlich um sich zu verabschieden. Laut der Polizei hat er sich danach mit einem Messer am Arm verletzt (siehe Update unten). Bahar wurde noch nicht in psychiatrische Behandlung übergeben, sondern befindet sich nach wie vor in Schubhaft. In einer Einzelzelle. Isolationshaft. Zu seiner eigenen Sicherheit, wie die Polizei sagt. Statt in psychiatrischer Behandlung ist er alleine in einer Zelle. Von der Außenwelt komplett abgeschnitten. Wir dürfen ihn auch nicht besuchen und versuchen, ihm wieder ein bisschen Hoffnung zu geben oder zu versichern, dass wir weiter mit allen Mitteln darum kämpfen, dass er hier in Österreich bleiben kann. Dass das alles seiner psychischen Gesundheit nicht zuträglich ist, brauchen wir hier nicht vertiefen. Einen Menschen, der so in Ausweglosigkeit und einer Spirale aus Negativität gefangen ist, dass er keinen anderen Ausweg mehr sieht, als sich das Leben zu nehmen, komplett von allem und jedem*r ohne Behandlung zu isolieren, ist Irrsinn. Diese Behandlung ist einfach unmenschlich. Von fahrlässig mal ganz zu schweigen. Der Tod eines Menschen wird in Kauf genommen, und es ist egal. Ein Selbstmordversuch eines Schubhäftlings ist keine Behandlung wert. Hauptsache, es kann wieder zur Routine übergegangen werden.
Bahar hat in den 3 Wochen Schubhaft versucht, sich so gut es geht in das dortige Leben einzugliedern. Immer wieder treten Schubhäftlinge im PAZ in den Hungerstreik, weil sie die Situation nicht mehr aushalten und nicht mehr können. Da Bahar zu den Hausarbeitern zählte, erging es ihm ein bisschen besser. Er konnte sich mit Arbeit ablenken, hatte kaum Freizeit, weil er in der Wäscherei, der Verpflegung und Reinigung mitarbeitete. Sein psychischer Zustand wurde trotzdem immer schlechter und schlechter. In der Nacht konnte er kaum noch richtig schlafen. Zusätzlich hatte er Zahnfleischbluten, was auch nicht ernstgenommen wurde.
Dann endlich die Erlösung: am 05.07.2017 wurde der Schubhaftbefehl gerichtlich aufgehoben, weil Bahar keine Vorstrafen hat und dazu bereit ist, am Asylverfahren mitzuwirken. Endlich war Bahar wieder frei und konnte seit langem das erste Mal wieder lachen. Doch die Freude währte nur kurz. Am 07.07.2017 wurde ein neuer Haftbefehl für die Schubhaft erlassen. Eine gute Stunde später wurde er in Wiener Neustadt erneut festgenommen. Einen ganzen Tag durfte Bahar die Luft der Freiheit schnuppern, dann war es auch schon wieder vorbei damit. Die erneute Festnahme versteht keine*r von uns. Was macht das für einen Sinn, jemanden aus der Haft zu entlassen, um ihn dann am übernächsten Tag erneut zu verhaften? Dieses perfide Katz- und Mausspiel der Polizei, diese Willkür. Bahar ist unbescholten, kooperiert, hat eine aufrechte Meldeadresse. Die Schubhaft wurde durch einen richterlichen Bescheid aufgehoben, und was macht die Polizei? Sie ignoriert es und beantragt sofort einen neuen Haftbefehl.
Das Unmenschlich bezieht sich nicht nur auf die Behandlung in der Schubhaft. Die Geflüchteten werden vom Tag ihrer Ankunft an entmenschlicht, als Nummer aufs Abstellgleis verfrachtet und sollen fortan möglichst unsichtbar dahin vegetieren. Die psychische Belastung und der Druck sind nicht zu ertragen. Ein Menschenleben zählt nichts, ohne dem richtigen Geburtsland. In Schweden gab es im Februar sogar eine Welle an Suizidversuchen. 3 davon endeten tödlich. In Deutschland wird auch über vermehrte Selbstmorde berichtet. Kein Wunder: kein Mensch kann diesem Druck ewig standhalten. Doch anscheinend soll genau das erreicht werden. Menschen sollen gebrochen werden. Menschen werden nicht ernst genommen. Der einzelne Mensch zählt nichts. Ein Menschenleben zählt nichts.
Doch nun zurück zu Bahar. Wie kam es eigentlich dazu, dass er in Schubhaft kam?
Bahar wurde Mitte Juni wegen eines negativen Bescheids in 1. Instanz, gegen den kein fristgerechter Einspruch erhoben wurde, in Schubhaft genommen. Er wurde leider im Laufe seines Asylverfahrens mehrfach schlecht beraten. Es lief einiges schief. Der negative Bescheid wurde ihm einfach nicht mitgeteilt. Wie kann gegen etwas Einspruch erhoben werden, ohne von dessen Existenz zu wissen?
Wie kann Einspruch gegen einen negativen Bescheid erhoben werden, wenn dieser gar nicht zugestellt wird? Keine Benachrichtigung der Post. Kein gelber Zettel. Nichts. Leider kommt so etwas viel häufiger vor, als wir denken.
Sein Abschiebetermin steht schon fest. Nächste Woche soll es soweit sein. Der Sitz im Flieger nach Kabul wartet schon auf ihn. Am 15.07.2017 in einer Turkish Airlines Maschine.
Wenn Bahar wieder zurück nach Afghanistan muss, dann ist das sein sicheres Todesurteil. Er lebte auch in Afghanistan schon sehr westlich orientiert, was zu mehreren Konflikten führte. Dadurch, dass Bahar in der Region für sein westliches Verhalten bekannt ist, ist seine Sicherheit enorm gefährdet. Seine Eltern haben sich aus diesem Grund auch von ihm abgewandt. Zurück in Afghanistan hätte er absolut kein soziales Netzwerk.
So wie Bahar geht es vielen. Alleine in diesem Jahr wurden schon ungefähr 50 Menschen in die Ungewissheit nach Kabul geschickt. Nach Kabul, die vermeintlich sichere Hauptstadt. Die Hauptstadt, die so sicher ist, dass beim größten Anschlag seit langem, just nach einer Abschiebung aus Österreich, ca. 150 Menschen starben. Trotzdem wird diese Stadt als sichere, innerstaatliche Fluchtalternative, was sie definitiv nicht ist, angesehen. Für die Beamt*innen mag es lästige Routine sein, doch für die Anderen geht es bei einer Abschiebung um ihr Leben.
Sind sie erst einmal in Kabul, dann bekommen sie keinerlei Unterstützung, oft nicht einmal einen Schlafplatz. Die Abgeschobenen aus anderen Ländern bekommen wenigstens finanzielle Unterstützung und haben somit bessere Überlebenschancen. Immer wieder ist die Rede von getöteten Abgeschobenen. Doch das alles ist egal.
Österreich schiebt die Menschen nach wie vor in den sicheren Tod ab.
Update 10.07.2017 abends: Entgegen der gestrigen Aussage der Polizei hat heute Bahar gesagt dass er sich selbst mit Zigaretten verbrannt hat. Auch seine Beraterin bestätigt, dass keine Schnitte zu sehen waren. Dennoch kann davon ausgegangen werden, dass er akut suizidgefährdet ist.
- Sein Abschiebetermin steht schon fest! – Bahar Z. - Juli 12, 2017