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Was es heißt Muslima in Österreich zu sein – Rukiye Gülce

Dieser Text wird meine persönlichen Erfahrungen widerspiegeln, die ich bis zu meinem jetzigen Lebensabschnitt machen durfte. Dabei ist es mir wichtig, dass Sie als Leser Anhaltspunkte für Sich selbst finden können, die Sie in irgendeiner Art und Weise berühren.

Stellen Sie sich vor, Sie kommen als vierte Generation der in Österreich lebenden Türken und als Muslimin zur Welt. Dass die Eltern auch in Österreich geboren und die Bildung genießen durften, versteht sich. Der Begriff Austro-Türken, der oftmals gerne für Menschen wie mich verwendet wird, kann keinesfalls meine Identität bzw. mich als Person definieren. Dass man sich als Menschen gesellschaftlich unterordnen oder gar kategorisieren lassen muss, wurde mir erst später mittels Erfahrungen verdeutlicht. Eines wurde von Vielen vergessen: Das Entweder/Oder Prinzip funktioniert eventuell in der Theorie, jedoch ist dieses im realen Leben unbrauchbar. Denn ich als Mensch, bin ich nicht nur eine „Staatsangehörige eines gewissen Landes“, eine Frau oder gar nur eine Muslimin. Meine Identität umfasst und überschneidet sehr viele Lebensbereiche. Man kann im Leben zugleich Mutter, Tochter, gute Angestellte, die Nachbarin von neben an, aber auch Künstlerin, leidenschaftliche Bäckerin, eine gute Sportlerin und zugleich auch vieles mehr sein.

Zurück zu meiner persönlichen Geschichte. Im Kindergarten konnte ich bereits im Gegensatz zu vielen anderen Migrantenkindern besser Deutsch, da bei uns zu Hause von Grund auf beide Sprachen gesprochen wurden. In der Volksschule war es nicht anders, trotz guter Noten bat meine damalige Lehrerin meine Eltern mich in eine Hauptschule (heutige Mittelschule) zu schicken, da ich mich womöglich „zu sehr anstrengen“ würde und dies meiner Entwicklungen Schaden zufügen könnte. Schon damals wurde mir die Chancengleichheit verwehrt. Mir wurden von der Lehrperson nicht die gleichen Chancen geboten, wie sie eventuell anderen zustehen würde. Manchmal frage ich mich immer noch, ob die Situation sich ändern würde, wenn ich autochthon wäre.

Als Kind nimmt man wenig bis kaum Unterschiede wahr. Man bezeichnet einzelne Menschen nicht als Ausländer, entscheidet schon gar nicht darüber wer zum Gesamtbild passt oder nicht. Das Ausschlaggebende für Kinder ist es, die vorhandenen Gemeinsamkeiten zu stärken. Max befreundet sich beispielsweise mit Ali, der gleich gut Fußball spielen kann oder Nina nimmt im Turnunterricht jedes Mal Ayse als Erste in die Gruppe auf, da sie einer der besten Spielerinnen ist. Wichtig sind die Erfahrungen, die man miteinander sammelt. Natürlich gibt es auch Ausnahmen, welche die Harmonie des Gesamtbildes stören. Doch kann man wirklich meinen, dass ein Blatt Papier wegen einem schwarzen Punkt, beschmutzt ist?

Zum ersten Mal wurde ich in der weiterführenden Schule mit meiner Identität konfrontiert. Damals war ich 15, versuchte mir meine eigenen Lebensrealitäten auszumalen und hatte wenig Basiswissen. Man spürte die klare Trennung zwischen den Schülern. Autochthone Schüler, Schüler mit türkischem Migrationshintergrund und dann gab es noch die Schüler mit ex-jugoslavischer Abstammung.

Die Repetier-Quote der türkischstämmigen SchülerInnen war besonders hoch. Ich möchte zwar nicht explizit auf die Diskriminierung meines Italienisch-Professors eingehen, doch es hinterließ Spuren. Spuren, auf die ich bis heute noch zurückdenke. Schon damals wurde ich gefragt, ob ich Österreich oder die Türkei als mein Land sehe. Das heißt, dass man mich schon mit Anfang 16 zur Wahl stellte. Jahrelang versuchte ich vergeblich meine Identität zu finden. Ich hatte einen gemischten Freundeskreis, in der dies nie ein Thema war und doch wurde mir von außerhalb klar gemacht, dass ich nie dem Gesellschafts-Ideal entsprechen werde. Heute weiß ich, dass ich Rassismus hautnah spüren durfte und es damals nicht richtig zuordnen konnte. Ich fasste die negativen Handlungen des Professors nicht rassistisch, sondern eben persönlich auf – welch ein Glück, dass meine Welt damals vom Rassismus wenig Ahnung hatte.

Eines Tages entschied ich mich im Deutschunterricht eine Rede zum Thema: „Wo ist Heimat?“ zu schreiben, mit der ich dann schlussendlich den Tiroler-Landesjugendredewettbewerb gewann. Ich habe bewusst dieses Thema gewählt, um einmal endlich meinen Mitschülern zu zeigen, wie mich dieses Thema beschäftigt. Ich wollte einfach nur meine Seele befreien.

Als pubertierender Teenager ist man auf der Suche nach sich selbst, seiner Identität und der eigenen Lebensberufung. Damals formte jede Stimme von Außen meinen Weg. Ich war ständig in einer Verteidigungsposition. Im Jahre 2001, kurz nach dem 11. September, welcher ein großes Thema in der Schule war, beobachtete ich wie ich als sichtbare Muslimin begann, unbewusst jeden Passanten (in Kleinstädten ist es üblich) mit einem lächelnden Gesicht zu grüßen. Menschen, die meinen Gruß nicht annahmen, waren für mich ein Ansporn mehr zu zeigen, dass wir als Muslime keine Terroristen sind. Der Terrorismus wurde mit dem Islam gleichgesetzt. Aussagen von Freunden wie: „Ich mag dich zwar als Freundin und weiß, dass du nicht so bist aber Muslime sind grausame Menschen“, waren Gang und Gäbe.

In den Medien wird tagtäglich über die muslimische Frau berichtet. Mal richtet sich der Fokus auf das Kopftuch, mal ist es die „unterdrückte Lebensweise“. Dass eine Frau nur auf ihre Kleidung minimiert wird, ist schon gesamtgesellschaftlich gesehen eine große Fehlentwicklung. Es kann nicht sein, dass man von der Unterdrückung redet, diese als Begründung für die Hetze nimmt und dann selbst die Unterdrückung ausübt. Naja, zurück zu meiner Geschichte.

Während des Studiums versuchte ich in den Seminaren impulsiv mehr mitzuarbeiten als alle anderen, zeigte öfter auf, nahm an Diskussionen teil und das Alles nur um das Bild der unterdrückten Frau im Kopf von wenigstens einigen Menschen zu verändern. Nun, nach dem Studienabschluss wurde mir klar, dass dies ein Kampf ist, den ich mit ins Grab nehmen werde.

Da draußen in der großen Welt wird es immer wieder Menschen geben, die auf mich/uns zeigen und uns als Verbrecher, Terroristen oder gar als Unruhestifter, das unpassende Puzzleteil der Gesellschaft benennen werden. Doch ich werde stets aufs Neueste jeden Morgen mit dem Gedanken aufstehen, den Menschen ein anderes Bild zu zeigen. Wenn ich bloß nur einen Menschen davon überzeugen kann, die Menschen nicht nach Herkunft, Religion etc. zu segregieren – habe ich mein persönliches Ziel erreicht. Das bin ich als Muslimin den Menschen schuldig, die nur Gutes in die Welt säen.

Rukiye Gülce

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