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Kuzguncuk
Begüm Gördü

Es gibt einen Stadtteil in Istanbul/ Üsküdar, der mir so viel Inspiration und Mut geschenkt hat, dass ich es nicht lassen konnte über ihn zu schreiben. Dieser Stadtteil nennt sich Kuzguncuk und ist in meiner Welt das Symbol für gegenseitige Toleranz geworden.

Wir waren in Üsküdar um uns einige Moscheen näher anzusehen, über die wir im Internet recherchiert hatten. Ganz zufällig sind wir dann auf die Kuzguncuk Moschee gestoßen, neben der sich eine Orthodoxe Kirche befindet. Schon alleine dieses Bild einer Moschee und einer Kirche nebeneinander weckte in mir idyllische Gefühle. Wir wollten natürlich beide Gebetsstätte von Innen bestaunen und fingen mit der Kirche an. Eine kleine, gut gepflegte Kirche mit einem wunderschönen Garten. Es bot sich glücklicherweise ein Gespräch mit dem Beauftragten an. Wir fragten ihn, ob es hier je zu Zwischenfällen gekommen war und wie die Lage denn allgemein sei. Er erzählte uns über das friedvolle Zusammenleben der Menschen unterschiedlichen Glaubens, die sich ohnehin schon länger kannten. Was mich besonders faszinierte war, dass die Kirchenglocken vor Messen stets ertönten. Ich war kurz in Gedanken versunken. Wir bedankten uns für die kleine Führung durch die Kirche, verabschiedeten uns und machten uns auf den Weg in die Moschee- sehr lange war unser Weg ja nicht da sie sich wirklich nur eine Hausnummer weit weg befand.

Herr Aydin, der sehr aufgeschlossene und freundliche Imam der Moschee, nahm sich Zeit für uns. Er erzählte über die besondere Geschichte dieses Stadtteils, über seine Arbeit und über das friedvolle Zusammenleben der Einwohner hier.

„Früher lebten hier Juden, Christen und Muslime in kleinen Holzhäuschen. Im ersten Stock lebte zum Beispiel eine jüdische Familie, im zweiten eine christliche und im dritten Stock hauste eine muslimische Familie.“ berichtete Imam Aydin. Das klang für mich schon so utopisch, dass ich jeden Moment ein „aber heute ist es anders..“ erwartete- zu schön um wahr zu sein. Zwar lebten jetzt die Bewohner nicht mehr in der selben Konstellation wie früher, doch es hatte sich an dem harmonischen und friedlichem Zusammenleben und Miteinander seit eh und je nichts geändert. Es herrschte hier schon immer weitaus mehr als nur eine stille Akzeptanz und ein blindes Nebeneinanderexistieren, es war ein wirkliches Miteinander und Füreinander, echte Nachbarschaft wie aus dem Bilderbuch.

Menschen machten einander Komplimente oder luden einander zum Essen oder auf einen Tee ein, fragten nach dem Wohlergehen der Familie.

Imam Aydin hatte auch ein zwei nette Anekdoten, die er uns so schilderte:
„ Eines Morgens machte ich mich auf dem Weg in die Moschee als ich jemanden aus der jüdischen Gemeinde antraf. Er machte mir ein Kompliment und meinte, dass meine neue Brille sehr gut an mir aussehen würde. Ich kann mich auch daran erinnern, dass ich einmal auswärts zu Abend gegessen hatte, als ich dann am Ausgang die Rechnung bezahlen wollte, teilte der Kellner mir mit, dass diese schon beglichen wurde. Von einem netten Herrn aus der christlichen Gemeinde. Ja, so sieht das Zusammenleben hier aus.“

Gleich in der Nähe befindet sich auch eine Synagoge, in der auch schon ein Mal Iftar-Essen (Fastenbrechen) organisiert wurde, um den Dialog der Gemeinden zu stärken. Nicht um sonst wirkte Imam Aydin sehr redegewandt, schließlich hatte er schon in Dokumentarfilmen mitgewirkt und mehrere Interviews gegeben. Mediale Aufmerksamkeit genießt dieses Stadtviertel-verständlicherweise- sehr viel. Auf dem Rückweg ins Hotel konnte ich nicht eine Sekunde aufhören an die Harmonie zu denken, mit der dieser Ort gesegnet ist. Ich überlegte, ich kritisierte im Stillen, auch mich selbst. Was taten diese Menschen, das wir nicht schafften zusammenzubringen?

Es war ganz einfach:
Keine komplexen psychologischen oder soziologischen Theorien. Die Menschen dort hatten es einfach geschafft den Menschen zu sehen und nicht seine religiöse Angehörigkeit oder Ethnie. Sie ließen sich nicht beeinflussen von medialen oder politischen Diskursen. Ihre Hochburg der Toleranz schützten sie mit Hingabe. Seither ist Kuzguncuk für mich ein Paradebeispiel gelebter Vielfalt, Toleranz und Menschlichkeit und ich wünsche mir für unsere Gesellschaft besonders in diesen Zeit nur ein Stückchen dieses Zusammenhaltes und dieses friedvollen Zusammenlebens.

„O Menschen! Siehe, Wir haben euch alle aus einem Männlichen und einem Weiblichen erschaffen, und haben euch zu Nationen und Stämmen gemacht, auf dass ihr einander kennenlernen mögt…“
Al- Hudschurat: 13

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