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Eine Zusendung: Liebe Befreier!

Befreien ist wieder in Mode gekommen. Befreien ist ein Klassiker, den man immer wieder aus dem Schrank holen kann.

Befreien wollen wirkt immer frisch. Man hat in der Vergangenheit vieles befreit, gerettet oder wenigstens vor Schlimmerem bewahrt. Nichts blieb unberührt.

Die Umwelt, die arbeitende Klasse, das Denken, der Sozialismus, der Kapitalismus, die Schwarzen, die Kinder, Deutschland – ach quatsch , Deutschland wurde nicht befreit, sondern hat kapituliert. Oder war es umgekehrt? Egal.

Ich habe mich vor ein paar Tagen mit einem Kollegen, der für eine konservative Zeitung schreibt, darüber unterhalten, was das Thema dieses Jahrzehntes sei. Das sei doch wohl der Islam, entgegnete er, wegen den unterdrückten Frauen, die dringend befreit werden müssten. Er zählt auf, in Deutschland, in Afghanistan, im Irak, im Iran. Man kann sich den Vortrag ungefähr vorstellen. Der Islam, bla, die Demokratie, blupp, der Luther, hechelhechel, die europäische Aufklärung, wichswichs. Boah, schrie ich ungehalten, ich könnte mich gerade übergeben. Frauen befreien, dass ich nicht lache. Frauen in Afghanistan befreien, dass ich nicht noch mehr lache. Islamische Symbole verbieten, Religion verbieten, Moscheen, verbieten, verbieten, verbieten und dann alles befreien. Als ich ein junges Schulmädchen war, kam einmal ein Vertrauenslehrer auf dem Schulhof zu mir, fragte: Dein Vater ist doch Muselmane, oder? Wenn du abhauen musst, helfe ich dir! Der wollte mich tatsächlich befreien und war beleidigt, weil ich mich partout nicht von dem rückständigen anatolischen Gastarbeiterknecht, wie er wohl dachte, diesem nach Schafstall stinkenden Patriarch, befreien lassen wollte. Befreien wollen hat etwas arrogantes, chauvinistisches, herrschaftliches. Da kommt der glatt rasierte Held und will dem kleinen, von Tyrannei verschmutzten Schicksal, einen Namen und ein Gesicht geben und von seinen Ketten lösen. Die Schwierigkeit bei dem kleinen Mohr, der ich bin, war, dass mein Vater zeitlebens unter der spöttischen Herrschaft seiner Tochter litt und nie umgekehrt. Senf im Schnabelschuh und Juckpulver unter dem Turban waren erste Streiche, die ich schon mit zwei Jahren übte.

Diese Woche ist die Islamkonferenz zu Ende gegangen. Einige Frauen stiegen auf die Kanzel und meinten, alles umsonst, weil die Frauen noch nicht befreit sind. Bei so etwas denke ich ohnehin immer, Mädels, ihr müsstet mal eine Therapie machen. Ihr kämpft doch eigentlich immer noch gegen Papi. Die großen, erfolgreichen Figuren der Befreiung waren Menschen voller Liebe wie Gandhi oder Martin Luther King. Echte, erfolgreiche Menschenrechtler kämpfen aus Liebe zu Land und Leuten. Das sieht man bei der iranischen Anwältin Shirin Ebadi genauso wie bei ihrer türkischen Kollegin Eren Keskin. Mein Kollege wiederum war noch nie in Kreuzberg oder Neukölln. Seine Kinder würde er niemals auf eine Schule mit einem muslimischen Kinderüberschuss schicken. Die meisten Befreier, die ich kenne, sind voller Verachtung, manchen platzt der Hass schon aus den Ohren. Man muss lieben, was man befreien Will.

Immer häufiger frage ich mich belm Anblick von Befreiern, ob es beim Befreien nicht eigentlich um etwas anderes geht. Es besteht nämlich ein Unterschied darin, den Moslem zu bekämpfen oder ihn zu befreien.

Also, worum geht es euch allen eigentlich? Hm?

Mely Kiyak
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